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Frohe Zukunft für das Haus der Erde – Bericht vom 15. BDA-Tag in Halle (Saale)

27. Mai 2019

Am Ende verabschiedete der BDA-Tag ziemlich konsequente Positionen für eine klimagerechte Architektur unter dem Titel „Das Haus der Erde”. Davor lag ein Tag mit einem dichten, spannenden und gleichermaßen ernsthaften wie auch gut zugänglichem Programm, das den drohenden Verlust unserer Lebensgrundlagen durch den Klimawandel auf die berufliche Relevanz für Architekten und Stadtplaner herunterzubrechen verstand. Anspielungsreich verwies BDA-Präsident Heiner Farwick auf die in Halle überall präsente Endhaltestelle der Straßenbahn mit dem schönen Namen „Frohe Zukunft“.

Leon Lenk
Leon Lenk
Der Y-Tisch aus dem DAZ in der Leopoldina in Halle (Saale)

Farwick, der seinen letzten BDA-Tag als Präsident beging, startete mit einer Hinführung auf das Positionspapier. Er zitierte die zehn Kernpunkte, darunter im Besonderen die „Achtung des Bestands“, die „Intelligenz des Einfachen“, das „Bauen als Ressource“ und natürlich die „Vollständige Entkarbonisierung“. Damit bekräftigte der BDA seine Haltung, der Umnutzung des Bestandes und der Nutzung der „Grauen Energie“ Vorrang vor dem Neubau zu geben – was schon auf dem letzten BDA-Tag in Hamburg gefordert worden war, als es dort hieß, jeder Neubau müsse seine „unabdingbare Notwendigkeit unter Beweis stellen“. Heiner Farwick betonte, dass Architekten eine Vorreiterrolle bei der Gestaltung der baulichen Zukunft zukomme. Die zivilisatorische Errungenschaft der persönlichen Freiheit sei ein Privileg und biete den Freiraum zur Erhaltung der Lebensgrundlagen.

Große Zustimmung fand die Bau-Staatssekretärin im Bundesinnenministerium Anne Kathrin Bohle in der Nachfolge Gunther Adlers, die ihr Manuskript spontan verwarf und frei auf das Positionspapier einging. Sie beeindruckte mit einer „nahtlosen“ Unterstützung der darin enthaltenen Forderungen: „Ich wäre am liebsten sitzengeblieben und hätte einfach unterschrieben“. Sie ziehe den Hut vor einem „derartigen Maß an Selbstkritik“, das der BDA an den Tag lege. Zudem stellte sie noch die Bodenfrage ins Zentrum ihrer Haltung, plädierte dafür, dabei alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und zitierte Hans-Jochen Vogel mit seiner Feststellung seit den 1970er Jahren, dass nämlich der Boden ein unvermehrbares Gut sei. Sie habe dabei auch die Unterstützung des Ministers Horst Seehofer, dem das „S“ im Parteinamen der CSU sehr wichtig sei.

Auch Sebastian Putz, Staatssekretär im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr im Land Sachsen Anhalt, betonte unter Anspielung auf die reiche historische Bausubstanz in Halle den Vorrang des Bestands und der Innenentwicklung bei der Stadtentwicklungspolitik seines Bundeslandes und verwies auf den schon zum fünften Mal durchgeführte Wettbewerb „Mut zur Lücke“, bei dem es um die Nutzung von Baulücken und Brachen geht.

Der Ökonom Nico Paech von der Universität Siegen verortete die Situation mit dem Bonmot „Gestern noch am Abgrund, heute einen Schritt weiter“. In einer „Dogmenhistorie des Nachhaltigkeitsdiskurses“ zeigte er zwei Strategien auf, von denen die erste gescheitert sei, nämlich das Konzept des „grünen Wachstums“, das die Energiewende durch technischen Fortschritt wie erneuerbare Energien zu erreichen versucht. Er plädierte vielmehr für die Strategie einer Postwachstumsökonomie, die mit „Degrowth“, also dem Gegenteil von Wachstum, einhergehe und eben keinen technischen, sondern einen kulturellen Wandel erforderlich mache.

Der Nachmittag des BDA-Tags gehörte dann sechs konkreten Beispielen, die aus dem Aufruf des BDA „Houston we have a problem“ hervorgegangen waren und die in Halle durch ihre Planerinnen und Planer sowie Vertretern der jeweiligen Auftraggeberschaft vorgestellt wurden. Unter der Moderation von David Kasparek wurden die Projekte im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimaneutralität diskutiert.

Sinan Tiryaki von haas cook zemmrich STUDIO2050, Stuttgart, stellte den Alnatura Campus in Darmstadt unter dem Titel „Einfach und ressourcenschonend” vor. Das Projekt kombiniere aus den beiden von Nico Paech genannten Strategien jeweils das Beste. Das Bürogebäude folgt einer Reihe von Nachhaltigkeitskriterien von der Materialwahl (Lehm) bis zur Beheizung (Geothermie).

Jörg Heiler von heilergeiger architekten und Stadtplaner BDA, Kempten, und Robert Bachfischer von der Alois Goldhofer Stiftung erläuterten das Konzept der Kindertagesstätte Karoline Goldhofer in Memmingen unter dem Motto „Kreativ recyceln und reaktivieren”. Hierzu hatte das Stifterehepaar eine freistehende 60er-Jahre-Villa einer Stiftung mit der Auflage vermacht, dort eine Kita unterzubringen. Die Architekten umhüllten den in jeder Hinsicht unzureichenden Bestandsbau mit einer transluzenten Polycarbonat-Haut und schufen so nicht nur den benötigten zusätzlichen Raum, sondern auch einen energetisch höchst wirksamen Bau.

Die heruntergekommene Frankfurter Zeilenbau-Siedlung Frankfurt-Niederrad ist durch Christoph Mäckler und sein Deutsches Institut für Stadtbaukunst (Frankfurt) saniert worden. Dabei wurden eine Dämmschale aus Ziegeln vorgeblendet, Anbauten hinzugefügt und die städtebauliche Figur gestärkt. Mäckler betonte, dass eine simple baukonstruktive Sanierung ohne Überschätzung des technologischen Fortschritts zu besseren Ergebnissen führe. Da Investoren von sich aus „null Interesse” an Ökologie haben, müssten sie durch andere Gesetze dazu gezwungen werden, war Mäcklers Fazit.

In Titmaringhausen im Sauerland haben Christoph Hesse Architekten, Korbach, mit einem energieautarken Haus ein ganzes Dorf verändert: Das kreisrunde Einfamilienhaus ist Zentrum eines Energienetzwerks, welches das Dorf mit der Abwärme einer Biogasanlage beheizt. Hesse betonte, das die Einigkeit der Dorfgemeinschaft entscheidend für den Erfolg war: „Man muss die Leute von Anfang an mitnehmen!”

Matthias Rottmann, De Zwarte Hond, Groningen Rotterdam Köln, und Iris Reuther, Senatsbaudirektorin der Freien Hansestadt Bremen, berichteten von einem sozial-ökologischen Modellprojekt in Bremen, dem Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“. Der Erkenntnisgewinn lag hier vor allem bei Verfahrensfragen, angefangen beim Erbbaurecht bis hin zu einem städtebaulichen Werkstattverfahren.

Schließlich stellten Ralf Pasel und Franziska Sack von der TU Berlin unter dem Titel „Gemeinschaft bauen” den Campus Bella Vista, eine Landwirtschaftsschule mit Internat in Bolivien, vor. Das „Design-to-build”-Projekt in einer ländlichen Region verfolgte unter anderem die Frage, wie eine Ästhetik der Angemessenheit aussehe.

Ästhetik war dann auch ein wichtiges Thema in den Diskussionen. Denn auch Projekte, die im Hinblick auf Klimaschutz alles richtig machen, müssten zudem gestalterischen Ansprüchen genügen, so eine deutliche Mahnung. Auch wurde betont, dass es bei den genannten Beispielen zumeist eine besonders engagierte Bauherrschaft gegeben habe. Der Meinungsaustausch lief letztlich auf die Frage hinaus, wie weit oder wie eng die Grenzen für Projekte gezogen werden können, um noch als vorbildlich zu gelten.

Solche Diskussionen sind sinnvoll und notwendig, auch wenn Heiner Farwick zum Abschluss betonte, dass der BDA-Tag als Organ der BDA-Satzung eine echte Entscheidungskompetenz habe. Und davon machte der BDA-Tag prompt Gebrauch, indem er das Positionspapier per Handzeichen mit großer Mehrheit annahm. Farwick sah dies als Aufforderung zum Handeln, als „Verpflichtung an uns alle” zur selbstbewussten Einmischung auf allen Ebenen. Nun gilt es, das Positionspapier zu überarbeiten und die einzelnen Positionen jeweils mit konkreten politischen Forderungen anzureichen.   (-tze)

 

Videodokumentationen

„Kulisse und Substanz“: Impressionen vom 15. BDA-Tag
unter anderem mit Nico Paech, Heiner Farwick, Anne Kathrin Bohle, Jörg Heiler, Matthias Rottmann, Ralf Pasel, Christoph Hesse und Sinan Tiryaki (5 min)

Heiner Farwick: BDA-Positionen für eine klimagerechte Architektur und Stadt (19 min)
„Die zivilisatorische Errungenschaft der persönlichen Freiheit bietet den Freiraum zur Erhaltung der Lebensgrundlagen”

Anne Kathrin Bohle, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Berlin (16 min)
„Der Boden als ein unvermehrbares Gut”

Dr. Sebastian Putz, Staatssekretär im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr, Magdeburg (17 min)
„Vorrang des Bestands und der Innenentwicklung bei der Stadtentwicklungspolitik”

Prof. Dr. Niko Paech, Ökonom, Universität Siegen: Befreiung vom Überfluss
„Vom Konzept des ‚grünen Wachstums‘ zur Strategie einer Postwachstumsökonomie”

Sinan Tiryaki, haas cook zemmrich | STUDIO2050, Stuttgart (19 min)
Alnatura Campus, Darmstadt: Einfach und ressourcenschonend

Dr. Jörg Heiler, heilergeiger architekten und stadtplaner BDA, Kempten; Dr. Robert Bachfischer, Vorstand Alois Goldhofer Stiftung, Memmingen (38 min, mit Diskussion)
Kindertagesstätte Karoline Goldhofer: Kreativ recyceln und reaktivieren

Prof. Christoph Mäckler, Deutsches Institut für Stadtbaukunst / Mäckler Architekten, Frankfurt am Main (19 min)
Frankfurt-Riederwald: Sanierung einer Siedlung der 1930er Jahre

Christoph Hesse, Christoph Hesse Architekten, Korbach (28 min)
Villa F …., Titmaringhausen: Wie ein energieautarkes Haus ein ganzes Dorf veränderte

Matthias Rottmann, De Zwarte Hond, Groningen Rotterdam Köln; Prof. Dr. Iris Reuther, Senatsbaudirektorin Freie Hansestadt Bremen (22 min)
Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“: Sozial-ökologisches Modellprojekt in Bremen

Prof. Ralf Pasel, Franziska Sack, TU Berlin (38 min, mit Diskussion)
Campus Bella Vista – Gemeinschaft bauen. Landwirtschaftsschule und Internat in Bolivien

 

 

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